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Show don’t tell verstehen

Show, don’t tell. Wir alle kennen diese drei so harmlos klingenden Worte, wir wissen auch alle, was sie bedeuten: Nicht erzählen, zeigs lieber! Es klingt an sich ganz einfach, aber dieses Thema ist komplexer, als man denkt.

Gerne wird der Anschein erweckt, show don’t tell wäre etwas, was in ausnahmslos jeder Szene zum Einsatz kommen müsste. Das ist völliger Blödsinn!
Jede gute Geschichte verfügt über ein ausgewogenes Maß an Show- und Tell – Elementen, die sich miteinander abwechseln.
Die Kunst besteht eigentlich nur darin, zu wissen, wann man was verwendet.


Ein weiteres Problem liegt wohl auch darin, dass jeder, der show, don’t tell verstanden hat, auch weiß, wann und wie man es einsetzt.
Wer dahingegen schon mal ein ‘show, don’t tell’ in seinen Reviews vorgefunden hat, kann oft mit dieser Aussage nicht viel anfangen, weil sie in keiner Weise erklärt, was genau eigentlich schiefgelaufen ist.
Auch eine nähere Erklärung ist nur selten hilfreich:

«Show, don’t tell bedeutet, dass sich dein Text irgendwie zu trocken, zu distanziert, zu wenig persönlich oder zu langweilig liest.»
«Ähhh … ja, gut. Aber wie kann ich das ändern?»
«Ganz einfach, indem du so schreibst, dass beim Leser das Kopfkino in Gang gesetzt wird. Show, don’t tell ist nichts anderes als eine Erzählweise, die bewirkt, dass die Handlung beim Leser in Gedanken als Film abläuft. Jetzt klar?»
«Ähhh … nein. Denn wie zum Geier schreibt man denn so?»
«Indem du das Geschehen zeigst, statt es nur zu erzählen.»

Womit wir wieder am Anfang wären, die Katze beißt sich in den Schwanz und der (noch) ahnungslose Autor ist genauso schlau wie zuvor. Also werden wir jetzt aus diesem Teufelskreis ausbrechen, hier ist der Beginn einer neuen Geschichte:

Version 1 ‚tell‘:
Wahrscheinlich gab es auf der Welt keinen chaotischeren Menschen als Klara Graumüller. Ordnung war ihr ein ebensolches Fremdwort wie Pünktlichkeit, man konnte nur staunen, wie sie es immer wieder schaffte, sich erfolgreich durchs Leben zu schlampen und zu schusseln. Es war völlig sinnlos, ihr deswegen Vorhaltungen zu machen, denn sie hatte so eine witzig – entwaffnende Art, mit der sie jedem den Wind aus den Segeln nahm.
Heute war alles wieder einmal besonders heftig. Klara fiel im letzten Moment ein, dass sie in der ersten Stunde ein Referat halten musste – und sie war schon jetzt viel zu spät dran. Das würde Ärger geben, doch glücklicherweise war ihr Vater so nett, sie zur Schule zu fahren. So ergab sich einer der seltenen Tage, an denen sie pünktlich zum Unterricht erschien, dafür musste sich Frau Brunzmeier dann darüber aufregen, dass Klara ihre Pausenbrote in die Vortragsnotizen gepackt hatte. Typisch, Lehrer hatten offenbar immer etwas auszusetzen …

In diesem Absatz habe ich euch aus unpersönlicher Erzählersicht diverse Fakten aufgezählt, die ihr mir so, wie ich sie hier behaupte, glauben müsst, denn ihr habt keine Möglichkeit, sie nachzuprüfen. Ihr wisst jetzt, wer Klara Graumüller ist, wie sie in den Tag startet, und ihr kennt auch die wesentlichen Eckdaten ihres Charakters. Nicht mehr und nicht weniger. Es geht aber auch ganz anders:

Version 2 ‚show‘:
7 Uhr 31 «Verdammt, schon so spät!» Mit einer raschen Bewegung schlüpfte Klara in ihre Latzhose, nur um als Nächstes festzustellen, dass oben der rechte Knopf fehlte. Peanuts am Morgen, dachte sie und wühlte aus dem Haufen undefinierbarer Dinge vor ihrem Bett einen kleinen Gegenstand hervor.
«Na bitte, das wichtigste Accessoire im Leben einer Frau: die Sicherheitsnadel». Sie befestigte den Träger und stutzte dann. War heute tatsächlich Mittwoch? Katastrophe, das bedeutete, erste Stunde Biologie bei Frau Brunzmeier. Und wenn sie sich richtig erinnerte, war sie heute dran mit ihrem Referat.

7 Uhr 38, Klara raste die Treppe hinunter in die Küche, wo die restliche Familie noch beim Frühstück saß. «Morgen allerseits!»
Ihre Mutter machte gerade belegte Brote zurecht, super, Marschverpflegung. Klara schnappte sich zwei davon, förderte dann ein paar lose Blätter aus ihrer Schultasche zutage und knüllte sie um die Schnitten herum. Perfekt.
«Wohl wieder mal spät dran, was?» Ihr Vater schaute kurz von seiner Zeitung auf.

7 Uhr 42, in diesem Moment fuhr die letzte U-Bahn, die sie noch pünktlich zur Schule gebracht hätte, gerade ab. Das würde übel werden!
«Hab jetzt ein Bio-Referat, muss mich etwas beeilen», würgte sie zwischen einem Schluck Kaffee und einem Mundvoll Müsli hervor.
«Schaffst du nie, die Brunzmeier wird dich vierteilen!», quäkte ihr stimmbruchgeplagter Bruder Nico mit hämischem Grinsen.
Jüngere Brüder – der letzte Irrtum der Natur, das war längst wissenschaftlich erwiesen. Doch in diesem Fall lag die kleine Kröte leider völlig richtig.
«Brunzmeier?» Ihr Vater horchte erneut auf. «Dann komm, ich fahre dich. Das ist echt ein Notfall.» Er hatte offenbar wenig Lust, schon wieder von der ollen Schnepfe in die Sprechstunde zitiert zu werden. Konnte man ihm nicht verdenken!

«Puh, das war knapp!» Mit dem 8 Uhr Klingeln schoss Klara als letzte in den Biologiesaal.
«Oh, welch Glanz in unserer bescheidenen Hütte!», tönte ihr der Brunzmeiersche Kreissägensopran entgegen. «Ich hätte jetzt gewettet, dass der Gong eine Viertelstunde nachgeht. Mindestens.» Dann, mit lauerndem Unterton: «Nun Fräulein Graumüller, wie steht es mit deinem Referat?»
«Sofort fertig, kann gleich durchstarten.» Mit geübten Handgriffen wickelte Klara ihre Brote aus und strich die Papiere glatt.
«Sag mal, findest du es wirklich angebracht, Pausenbrote in deine Vortragsnotizen zu packen?», kreissägte es weiter. «Recycling in allen Ehren, aber das ist einfach nur unappetitlich.»
Klara musterte die Schnitten in ihrer einen, dann die Papiere in ihrer anderen Hand. «Sie haben vollkommen recht, Frau Brunzmeier», meinte sie dann. «Ein Schinkenbrot, das in einen Vortrag über vegane Ernährung gewickelt ist, das ist echt ein Unding!» …’

Was fällt auf?

Mit keinem Wort wurden Beschreibungen wie schlampig, schusselig, chaotisch etc. verwendet, trotzdem habt ihr hier eine viel genauere, eingängigere Vorstellung von Klaras Charakter, Aussehen und den ganzen Umständen, als beim ersten Text.

Wie hat das genau funktioniert?

Statt euch wie in Version 1 nur Fakten zu liefern, habe ich hier Klara agieren und euch dabei zuschauen lassen. Ihr müsst nicht auf die Behauptungen eines unpersönlichen Erzählers vertrauen, sondern könnt euch vielmehr selbst davon überzeugen, was alles passiert.

Bildquellen

  • show-dont-tell: Bildrechte beim Autor

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