Persönliches,  Shortstories

Zettelwirtschaft

Eine Kurzgeschichte zum Thema “Nichts”

Immer wieder dasselbe. Daran ändern selbst die freien Tage kaum etwas. Die Regale gefüllt mit Staub, der Kühlschrank gefüllt mit einem Vakuum aus gähnender Leere, das Konto gefüllt mit einem dicken Minus. Zumindest gehöre ich zu den Glücklichen, die keine Sorgen durch Negativzinsen haben.

Der Montagszettel wandert in den Papierkorb. Für morgen schreibe ich «Staubsaugen» auf. Ich streiche es. Die Blumen sind wichtiger. Die Küche ist unordentlich. Die Bügelwäsche stapelt sich. Also drei neue Zettel. Das muss für einen Dienstag reichen. Sonst habe ich ja nichts von meiner Freizeit. Ein viertes Stück Papier ist unerlässlich. «Wecker stellen» notiere ich darauf in deutlich geschriebenen Großbuchstaben.

Täglich tapeziere ich die Pinnwand in der Diele aufs Neue mit Minivorsätzen. Ebenso regelmäßig schmeiße ich diese Merkzettel in den Papierkorb, was keineswegs heißt, ich hätte die Aufgaben darauf erledigt.

Sie halten mich für schlampig, für nachlässig, für einen Menschen ohne jegliche Selbstdisziplin? Vielleicht haben Sie sogar Recht. Vorsätze allein reichen nicht, um Ordnung in ein chaotisches Leben zu bringen. Ich benötige Hilfe. Im Haushalt. Mit meinen Papieren. Bei der Finanzplanung. Und überhaupt. Damit das Durcheinander endlich aufhört.

Der Kugelschreiber verweigert vehement seine Arbeit auf einem jener Zettel, die ich hin und wieder auf dem Nachttischchen platziere, nur zur Sicherheit, griffbereit, falls mir im Schlaf ein wichtiger Punkt einfällt, den es zu beachten gilt. Denn letztlich brauche ich einen perfekten Plan. Früher oder später will ich die Aufmerksamkeit auf die ausschlaggebenden Aspekte im Leben richten. Die Reihenfolge spielt dabei eine entscheidende Rolle. Niemand wird einen Schrank kaufen, bevor das Haus steht. Da der Kuli sperrig bleibt, vertage ich mein Vorhaben auf den nächsten Tag. Pläne laufen nicht weg. Obwohl. Es ist schon Mittwoch. Egal.

Gut, dass die Folterung eines harmlosen Kissens straffrei ist, durchgeschwitzte Bettwäsche nicht unmittelbar zu einer Lungenentzündung führt und Wecker, die man mit voller Wucht an die Wand klatscht, … Was soll’s? Gepeinigt von innerer Unruhe durch die vorangeschrittene Woche, greife ich zu Stift und Zettel auf dem Nachttisch. Geht nicht. Will nicht. Schreibt nicht. Mir bleibt nichts übrig. Ich muss aufstehen.

In einer der Küchenschubladen habe ich für alle Fälle immer ein paar Blätter Papier und Filzschreiber. Man weiß ja nie. Was wollte ich noch aufschreiben? Ich wollte … Erst mal koche ich mir einen Kaffee. Heiß, stark, ohne Milch, ungezuckert. So mag ich ihn am liebsten.

Bevor es ans Eingemachte geht, kleide ich mich neu ein. Damit zusammen hängt ein Ausflug nach Düsseldorf, mit der Bahn, wegen der Parkplätze, die dort Mangelware sind. Problem Nummer eins: Ich kann schlecht mit tausend Tüten von der Kö im Zug sitzen. Das macht keinen guten Eindruck. Möglicherweise kaufe ich zunächst doch besser bei H&M ein. Die haben einen online Shop. Mist. Vollkommener Mist. Zerknüllt fliegt der Zettel mit den Einkaufsplänen in die Zimmerecke.

Auf ein Neues. Nummer eins wird weder ein Einkauf noch eine Internet-Surf-Orgie. Ich brauche exklusivere Möbel. Womit wir wieder bei der Reihenfolge sind. Die Möbel müssen an zweite Stelle. Ich male einen Pfeil zur Zeile unter dem Einrichtungseintrag und verpasse ihr noch ein fettes «Zweitens. Erstens: Haus kaufen. Drittens: Sportwagen aussuchen. Viertens: …» Weg mit dem ganzen Unfug. Ein Sportwagen bringt sicherlich keine Ordnung in mein Leben.

Freitag. Ein absoluter Horrortag. Wie in jeder Woche. Aber heute lege ich endgültig den Grundstein. Die Fahrt nach Düsseldorf ist vertagt, verbannt aus meinen Gedanken, ganz gleich, ob ich einen Parkplatz suchen muss oder die Bahn nehme. Ich fahre sowieso nicht hin. Jedenfalls weder heute noch morgen. Es wird höchste Zeit, zur Tat zu schreiten. Blauer Himmel, rosige Aussichten. Ich bin zuversichtlich. Die wenigen Kilometer zum Dorf schaffe ich locker mit dem Fahrrad.

Frohgelaunt betrete ich den Laden, gehe zielsicher auf den Stehtisch zu, ein Griff, der feste Wille, das Richtige zu tun, ein Blick, ein Kreuz. Zweifel machen sich breit. Gar nicht darauf achten. Einfach los. Das ist immer das Beste. Wenn es bloß so leicht wäre, wie es sich anhört. Schweißperlen sorgen für ein Schmuddelgefühl. Meine Nerven liegen blank. Und das wegen ein paar Kreuzchen, die man mit Kugelschreiber in Kästchen setzt.

Die kalte Dusche hat mir kurzfristig zu einem angenehmen Frischegefühl verholfen. Nun hocke ich im Bademantel vor dem Bildschirm wie ein kleines Kind. In einer Hand ein paar Gummibärchen, in der anderen einen Zettel. In wenigen Minuten ist es neunzehn Uhr fünfundzwanzig.

Der Live-Stream startet. Die Anmoderation ist überflüssig. Ich kenne das Prozedere. Jeder kennt es. Wenige Sekunden. Die Maschine dreht sich. Die erste Kugel fällt, der erste Traum zerplatzt. Die zweite Kugel fällt. Den Sportwagen lege ich auf Eis, die dritte Kugel … Keine der sechs gezogenen Zahlen stimmt mit den Kreuzen auf dem Zettel überein. Nichts hat es gebracht, die ganze Aufregung, die Überlegungen, die Hoffnung auf ein geordnetes Leben in einem großen Haus, mit Angestellten, die sich um alles kümmern. Stattdessen habe ich nicht einen einzigen Cent gewonnen. Die Gummibärchen in meiner Hand kleben.

Bildquellen

  • Buchnachteule Zettelwirtschaft: Bildrechte beim Autor

Ich bin 56 Jahre alt. Katzen-(dressur), Pferde, Motorräder, Musik, Garten, Australien ... meine Interessen sind vielseitig. Die Begeisterung für Sprache hatte sich schon im Vorschulalter eingestellt. Stolze Eltern, gute Noten in Deutsch und Englisch. Abitur, Lehre, Job - So weit, so gut. Und dann der Geburtstagswunsch meines langjährigen Partners und heutigen Ehemannes: Ein Buch! Sein Wunsch war mir Befehl. Seitdem höre ich auf meine Protagonisten ... Absurd, aber wahr.

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